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Zwei Schritte vor und keinen zurück

Frauen im Tischlerhandwerk gestern, heute und morgen
Zwei Schritte vor und keinen zurück

Auch wenn nur sie nur wenige Spuren hinterlassen haben. Es hat sie schon immer gegeben: Frauen im Tischlerhandwerk. Früher waren sie häufig nur im Hintergrund und in Randbereichen beschäftigt. Aber auch wenn heute viele Schritte zur Gleichberechtigung getan sind, so gibt es doch immer noch Handlungs-bedarf, um die Stellung von Frauen im Handwerk zu verbessern.

Untersuchungen belegen, dass Frauen im Tischlerhandwerk historisch zu allen Zeiten eine tragende Bedeutung hatten: Sie waren im Hintergrund und in Randpositionen in die betrieblichen und sozialen Strukturen eingebunden und stützten sie. Die Spuren weiblicher Produktivität in Werkstatt, Büro und häuslichem Bereich sowie in der Öffentlichkeit sind jedoch nur am Rande dokumentiert. Die Mechanismen des Jahrhunderte langen Ausschlusses von Frauen aus dem Berufshandwerk sind zählebig (1). Der Anteil der anonymen Frauenarbeit im Tischlerhandwerk ist nur in Ausschnitten einzuschätzen, da bis auf wenige Ausnahmen weder die produktiven noch die unterstützenden Leistungen von Frauen systematisch erfasst wurden.

Ehefrauen, Töchter und Witwen von Meistern
Seit dem 16. Jahrhundert wurden Frauen verstärkt aus dem zünftigen Handwerk ausgeschlossen. Dennoch sind eine Vielzahl von Hinweisen vorhanden, dass trotz andauernder Ausschließungstendenzen Frauen immer am Bildungs- und Erwerbsleben beteiligt waren – wenn auch nur in geringem Umfang und sehr begrenzt. Die einzigen Zugangs- und Aufstiegsmöglichkeiten stellten nach der Wende zur Neuzeit Geburt und Heirat dar. Also hatten nur Meisterfrauen, -töchter und –witwen diese Möglichkeiten.
Als kostenneutrale mithelfende Familienangehörige, als zeitweiliger Ersatz für Männer und als billige Lohnarbeiterinnen waren Frauen im Tischlerhandwerk zu allen Zeiten aufgefordert mitzuarbeiten. Sowohl vor als auch nach der Industrialisierung haben un- und angelernte Frauen Teilarbeiten verrichtet: Teile geschnitten, zusammengefügt, geschliffen, poliert und montiert. Ferner waren sie im Bereich der kleinteiligen Dekoration (des Schmückens, Verzierens, Verschönerns) von hochwertigem Mobiliar tätig – beim Bemalen, Schnitzen, Furnierschneiden und Intarsieren, der Holzbrandtechnik, dem Flechten und Vergolden. Viele Werkstätten und Meister waren auf die Mithilfe von Frauen und Kindern angewiesen, die Möbeloberflächen polierten und lackierten. Aus dem offiziellen Handwerk gedrängt, wichen Frauen auch in die Heim- und später in die Industriearbeit aus.
Die ersten Schritte zur Gleichstellung
Das Recht auf berufliche Bildung im Handwerk wurde Frauen in Deutschland erst um 1910 als Reaktion auf den vereinten Druck von Frauenbewegung und sozialreformerischen Kreisen zugestanden. Für die traditionellen Männerdomänen bedeutete die formale Gleichstellung von Frauen nur einen allerersten Schritt in Richtung auf eine wirkliche Öffnung. Die Widerstände der Handwerker gegen die Ausbildung und Beschäftigung von Frauen waren nach wie vor groß. Erst 1913 gelang es laut ‚Casseler‘ Lokalpresse „Fräulein Wally Lortsch“ ihre Meisterprüfung als erste deutsche Tischlermeisterin abzulegen. Fallbeispiele belegen, dass noch Mitte der zwanziger Jahre Frauen nicht rechtzeitig zu Gesellenprüfungen angemeldet wurden.
Vor allem im Zusammenhang mit den aufkommenden Reformbewegungen wie Shaker, Arts and crafts, Jugendstil, Werkbund und Bauhaus treten weibliche Vorbilder und ihre Beiträge im Innenausbau und Möbelbau stärker in Erscheinung. Doch auch hier wurden Frauen immer wieder auf Entwurfs-, Dekorations- und Hilfstätigkeiten verwiesen. Selbst am Bauhaus blieb der Zugang zur Tischlerei grundsätzlich erschwert, gelangten Frauen nur in Ausnahmefällen zum Möbel-design und zur Möbelfertigung.
Frauenbewegung und staatliche Förderung
Nach Kriegsende und in der Nachkriegszeit wurden vorübergehend Zehntausende von Frauen zu Aufräumungs-, Aufforstungs- und Wiederaufbauarbeiten verpflichtet, um die Spuren der Verwüstungen zu beseitigen.
Erst infolge der neuen Frauen-bewegung und der mit staatlicher Förderung durchgeführten „Modellversuche zur Erschliessung gewerblich-technischer Aus-bildungsberufe für Mädchen“ in den Jahren 1978 bis 1985 erfolgte ein nennenswerter Anstieg der Beteiligung von Frauen in diesen Berufen.
Die Schwierigkeiten der gegenwärtigen Situation
Trotz vielfach besserer Schul- und Berufsabschlüsse junger Frauen sowie vielfältiger bildungspolitischer Bemühungen auf Bundes- und Länderebene erfolgt die berufliche Bildung und nachfolgende Beschäftigung von Frauen in Betrieben des Tischlerhandwerks nach wie vor nur in homöopathischen Dosen. Die Überwindung der geschlechtsspezifischen Teilung des Ausbildungsstellen- und Arbeitsmarktes auf breiter Ebene ist insbesondere im verarbeitenden Gewerbe bisher nicht gelungen. Trotz ihres deutlich gestiegenen Qualifikationsniveaus sind Frauen nach wie vor extrem selten in Führungspositionen anzutreffen.
Dabei ist der Tischlerberuf seit Jahren – zumindest in den alten Bundesländern – der von weiblichen Auszubildenden am stärksten favorisierte männerdominierte Ausbildungsberuf. Zudem verweist die Aussage der Handwerkskammer Hamburg, dass mehr als die Hälfte der weiblichen Auszubildenden im Tisch-lerhandwerk die Hochschulreife besitzt, auf ungewöhnliche Bildungsvoraussetzungen hin (2).
Leistungspotential von Frauen ignoriert
Seit Jahren versucht das Handwerk, leistungsstarke Nachwuchskräfte, die dringend be-nötigt werden, zu gewinnen und zielgerichtet auf Fach- und Führungsaufgaben bzw. auf die Übernahme oder Existenzgründung von Handwerksunternehmen vorzubereiten. Durch die Vermittlung eines breiten Spektrums von Zusatzqualifikationen parallel zur Ausbildung, wie z. B. „Betriebsassistent/in im Handwerk“, sollen überlange Ausbildungs- und Aufstiegswege verkürzt werden. Bewährt haben sich auch berufsbegleitende Weiterbildungen zur Vermittlung von fachspezifischen und -übergreifenden Kompetenzen für Tischler/innen.
Dennoch scheinen viele Betriebe auch in Zeiten des wirtschaftlichen Umbruchs nicht auf das Wissens- und Fähigkeitspotential von hochmotivierten und -qualifizierten Frauen sowie auf deren Gleichstellung zu warten. Im Gegenteil zeigt die Erfahrung immer wieder, dass kleine und mittlere Betriebe weder ihren längerfristigen Bedarf noch ihre verfügbaren Potentiale und Ressourcen kennen. Traditionelles Vorurteilsdenken gegenüber Frauen in gewerblich-technischen Berufen führt überdies dazu, dass Lern- und Leistungspotentiale von Frauen ignoriert, d. h. nicht adäquat genutzt oder ausgegrenzt werden. So weist die Arbeitslosenstatistik allein im Raum Berlin seit Jahren rund 200 erwerbslose Tischlerinnen aus. Angesichts einer diskriminierenden Arbeitsmarktlage gilt es um so mehr, Anknüpfungspunkte für den gesellschaftlichen Wandel in den Betrieben des Tischlerhandwerks als Gestaltungs- und Bildungsaufgabe zu benennen.
Chancen und Ansatzpunkte in der Zukunft
Welche Möglichkeiten einer geschlechtergerechten Entwicklung ergeben sich daraus auch in den kleinen und mittleren Unternehmen des Tischlerhandwerks? Der Einsatz moderner Technologien und die Kombination von alten und neuen Materialien ermöglichen eine variantenreiche Gestaltung und flexible Fertigung nach Kundenwunsch. In dem Maße wie die Produktion zunehmend hinter dem Bildschirm verschwindet, nimmt der Anteil der Muskel- und Handarbeit ab. Ein wesentlicher Teil zukünftiger Arbeit im Tischlerhandwerk wird in der Informationsverarbeitung liegen.
Innovative Tätigkeitsfelder bieten insofern Ansatzpunkte für eine Frauenförderung, als diese Terrains auch von Männern noch nicht oder erst zum Teil besetzt sind. Die frühzeitige Hinführung zu produktiver Arbeit durch bedarfsgerechte, arbeitsplatzorientierte Berufsausbildung erleichtert den Übergang vom Ausbildungs- ins Beschäftigungssystem. Die klassische Aufgaben-teilung wird in der Industrie ebenso wie im Handwerk zunehmend dadurch abgelöst, dass technische Aufgaben genauso wie Dienstleistungsfunktionen einbezogen werden. In dem Maße wie Produktion und Dienstleistung sich überlagern, muss die Dienstleistungsorientierung auch Gegenstand der Aus- und Weiterbildung in Technikberufen sein. Angesichts vielfältiger Modernitätsrückstände in den Betrieben des Tischlerhandwerks sollten Aus- und Weiterbildungs- sowie Umschulungsmaßnahmen in zeitgemäße Produktions- und Dienstleistungskonzepte eingebunden sein sowie in Strategien zur Personal- und Organisationsentwicklung. Zudem sollten sie professionellen Qualitätsstandards genügen. Dies setzt voraus, dass Personal- und Bildungsverantwortliche das Potential von Frauen erkennen und fördern. Schließlich gilt es, durch individuelle Maßnahmen (z. B. Zusatzqualifikationen) den Frauen berufliche Entwicklungswege zu eröffnen. Persönliche Fähigkeiten, Interessen, Einstellungen und Selbstbilder müssen auf Dauer mit den beruflichen Anforderungen in Übereinstimmung gebracht werden. Individuelle Berufsplanung, Eigeninitiative und vor allem ein geglückter Berufseinstieg sind von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung einer Berufsidentität und einer ausbildungsgerechten Beschäftigung von Frauen. Sie müssen ihre qualifikatorischen Stärken erkennen, Zutrauen zu diesen Stärken gewinnen und sie innerbetrieblich wie auch gegenüber den Kund(inn)en zur Geltung bringen können. Frauen sollten nicht nur zu Eigeninitiative befähigt werden, Verantwortung für ihr Lernen und die eigene Vermarktung übernehmen, sondern gleichzeitig eine realistische Perspektive einnehmen. Ziel ist es, Handlungssouveränität zu erlangen, die z. B. in Phasen der Erwerbslosigkeit wichtig ist, und Gestaltungsspielräume zu nutzen.
PartnerschaftlicheArbeitsplatzgestaltung
„80 % aller Probleme im Betrieb sind Personalprobleme (…).“(4) So gesehen ist, um Frauen dauerhaft zu integrieren, eine partnerschaftliche Gestaltung der sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz wichtig. Innovative Betriebe, auch wenn sie nur eine Minderheit darstellen, zeichnen sich häufig durch Sozialstrukturen aus, die die Selbstständigkeit und Beteiligung der Beschäftigten fördern und weniger geschlechtsbezogen sind.
Eine Veränderung des Berufsbildes in einem ganzheitlich verstandenen Sinn sollte umwelt- und sozialverträgliche Prozesse, Strukturen und Produkte einschließen und kann obendrein dazu beitragen, die geschlechtsspezifische Zuschreibung des Tischlerberufs zu überwinden. o
Literaturhinweise:
(1) Schemme, Dorothea: Das Tischlerhandwerk im Spannungsfeld zwischen Industrie, Design und Wissenschaft. Bildungs- und Beschäftigungspotentiale für Frauen, BIBB (Hg.), Bielefeld, 1998
(2) Schmid, Britta: Das Handwerk sucht lernstarke Auszubildende. Abiturienten sollen Technische Betriebswirte werden. In: FAZ vom 10.5.1997
(3) Schmidtmann-Ehnert Angelika; Bartel Christel; Dorothea Schemme: Technikberufe in Zukunft für Frauen. Seminarkonzept zur Ausbilderförderung, BIBB (Hg.), Bielefeld, 1994
(4) Haase Peter. In: Dybowski Gisela; Haase Peter; Rauner Felix: Berufliche Bildung und betriebliche Organisationsentwicklung. Anregungen für die Bildungsforschung
Aus der Basler Tischler-Zunftordnung von 1271: „Der Zunft gehören die Frauen wie ihre Männer an, und zwar zu Lebzeiten ihrer Männer und nach deren Tode als Witwen.“
Aus einer Prozessakte von 1563: „Der Tischler Peter Eck zu Eger wurde von der Zunft angeklagt, weil dessen Frau nach Meinung der ehrsamen Zunft in das Handwerk pfuschte. Daraufhin wurde beschlossen, dass die Frau des Meisters im Hause mit Leimsieden, Leimtränken, Firnus und anderem, was zum Handwerk gehörte, helfen und Handreichungen tun mag, doch außerhalb des Hauses sollte sie sich dessen enthalten.“
Aus „Der Lehrjunge“ von Adrian Beier, 1688: „ In Bezug auf das Geschlecht schließen wir die Frauen aus, dass sie von keinem Meister in die Lehre genommen werden dürfen. (…) Das Mädchen sei zum Heiraten bestimmt (…) und eine gelernte Schusterin sei aber dem Schmied nichts nütze. (…) Man kann nicht allein in der Lehre lernen, sondern müsse auch wandern; von einem ungewanderten Gesellen und einer gewanderten Jungfrau halte man aber gleichviel.“
Berliner Tagespresse, 1894: „Unsere Reichshauptstadt beherbergt jetzt einen interessanten Gast dänischer Herkunft: Fräulein Catherine Horsbol aus Kopenhagen, welche mit einem Stipendium ihrer Regierung ausgerüstet, die europäischen Hauptstädte zum Zwecke ihrer Ausbildung in der Kunsttischlerei besucht. (…) Man bedenke eine deutsche Regierung, welche einen weiblichen Tischlergesellen mit einem Stipendium in die Welt hinausschickt – undenkbar, einfach undenkbar.“ In den Tischlereien, in denen sie sich bewarb, wurde Horsbol als Kuriosität, „nur mit Staunen, beinahe mit Schreck empfangen; ein weiblicher Tischlergeselle kam ihnen ebenso unerhört vor, als wenn eine Nixesich als Verkäuferin hätte melden wollen.“
Aus einem Lied der Shaker aus dem 19. Jahrhundert:„My mother is a carpenterShe hews the crooked stickAnd she will have it strait and squairAlthough it cuts the quick.(carpenter = Zimmerin)My mother is a joiner wiseShe builds her spacious domeAnd all that race her sacred waysWill find a happy home.“(joiner = Tischlerin)
Walter Gropius an die Studierenden des Bauhauses, 1919: „Kein Unterschied zwischen dem schönen und starken Geschlecht. Absolute Gleichberechtigung, aber auch absolut gleiche Pflichten. Keine Rücksicht auf Damen, in der Arbeit sind alle Handwerker.“ Doch bald war ihm die Zahl der Frauen, die ans Bauhaus kamen, zu hoch. So schrieb er 1921: „Es ist nicht ratsam, nach unserer Erfahrung, dass Frauen in den harten Handwerksberufen wie Tischlerei und so weiter arbeiten. (…) Wir sind (auch) grundsätzlich gegen die Ausbildung von Frauen als Architektinnen eingestellt.“
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