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Neue Chance

Modulausbildung in der JVA Dieburg
Neue Chance

Sie sind im Leben falsch abgebogen und müssen nun dafür geradestehen. Um wieder auf die rechte Spur zu kommen, lernen Häftlinge in der Schreinerei der JVA Dieburg die Grundlagen des Berufs, aber auch Motivation durch eigene Erfolge kennen.

Autor: BM-Redakteur Marc Hildebrand

I Der vertraute Geruch von Holz, der bekannte Anblick gängiger Maschinen von der Bandsäge bis zur Tischfräse – man fühlt sich wie in einer ganz normalen Schreinerei, umgeben von Kollegen im Firmen-CI. Einzig der Blick auf die vergitterte Tür holt die Realität zurück: Ich befinde mich in der Justizvollzugsanstalt Dieburg. Genauer gesagt im „Hilfsbetrieb der Hauswirtschaft“, wie sich diese Ausbildungsstätte nennen muss.

Motivation für ein „neues Leben“
Jeweils sechs der 260 Insassen dieses Gefängnisses können während des Vollzugs Grundlagen des Schreiner-/Tischlerberufs in verschiedenen Modulen erlernen, um nach ihrer Entlassung die Chance auf einen besseren Start in den geregelten Alltag zu haben.
Dabei produzieren sie kein „Edelbrennholz“, sondern erschaffen durch sinnvolle Arbeiten handfeste Werte, auf die sie wahrlich stolz sein können – oft zum ersten Mal in ihrem Leben. „Seine Jungs“ durch eben diese Erfolge zu motivieren, ist ihrem Ausbilder, dem Schreinermeister Friedhelm Pfuhl, ebenso wichtig, wie handwerkliche Kenntnisse zu vermitteln, denn er weiß: Versagen ist der erste Schritt zurück zum alten Muster und der Sog von Drogen oder der des schnellen Geldes zieht sie erneut in die „falschen Kreise“.
Was lernen die Gefangenen?
Wer denkt, „die Häftlinge basteln im Knast halt ein wenig rum“, liegt komplett falsch. Mit seinen Lernmodulen vermittelt Pfuhl in der JVA Dieburg solide Basisfertigkeiten. Angeboten werden drei unterschiedliche Einstiegsqualifikationen in den Beruf:
  • Bearbeiten von Vollholz
  • Bearbeiten von Holzwerkstoffen
  • Furnieren / Belegen von Plattenwerkstoffen
Jedes dieser Ausbildungsmodule dauert ein Vierteljahr. Engagierte Häftlinge dürfen innerhalb ihrer Haftstrafe (meist 12 bis 36 Monate) alle drei absolvieren, meist inklusive Werkstück. Gesetzt den Fall, sie schaffen es unter die ausgewählten Sechs. Denn jeden nimmt Pfuhl nicht unter seine Fittiche. Man muss schon wollen und entsprechend Einsatz zeigen.
Die Rahmenpläne sind streng gegliedert und lehnen sich an eine herkömmliche Ausbildung an (siehe PDF-Download auf Seite 97). So umfasst bereits das erste Modul u. a. die Holzartenerkennung, die Materiallistenerstellung sowie die Ablaufplanung unter ergonomischen wie wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Aber auch die Bearbeitung mit handgeführten und Standardmaschinen wie Abrichte, Tischfräse und Langbandschleifmaschine steht auf dem Plan.
Schriftliche Prüfungen gibt es keine. Learning by Doing ist die Devise: Anhand des Werkstücks, das sie mit planen und anschließend fertigen, lernen die Insassen Step by Step alle wichtigen Schritte durch sukzessive Einweisung direkt am Objekt. Nach Beendigung eines Moduls winkt ein Zertifikat. Noch bedeutender ist aber das erhebende Erfolgsgefühl und natürlich das Schulterklopfen als aufbauende Anerkennung durch Kollegen.
Hierarchie-Denken ist der falsche Weg
„Ich brenne seit dem ersten Tag für die Module“, schwärmt Pfuhl. Und das ist keine Floskel. Da die finanziellen Mittel der Anstalt begrenzt sind, ist er mit Feuereifer am Werk, Kontakte zu knüpfen, um Werkstoffe, aber auch Lehrmaterial kostengünstig oder durch Spenden zu organisieren.
Vor dem Bau eines Altars inklusive massivem Stehpult (s. Bild) trat er beispielsweise an die Firma Akzo Nobel (Zweihorn) heran. Sein Ziel: Lack- und Anschauungs- bzw. Unterrichtsmaterial für seine Mission zu ergattern – mit Erfolg. Sein Lohn: Die leuchtenden Augen seines Mitarbeiters, wie er übrigens alle seine Schützlinge nennt. „Noch niemals zuvor habe ich etwas so Schönes mit meinen eigenen Händen gebaut“, sagte eben jener damals und war fast gerührt, als er schlussendlich vor seinem eigenen Werk stand. „Da krieg ich immer noch Gänsehaut“, gesteht Pfuhl und streicht über seinen Unterarm während er davon erzählt.
Gelingt es ihm nicht, Lehrmaterial zu beschaffen, wird dieses kurzerhand in der Werkstatt selbst hergestellt. So ist mit der Zeit ein Fundus an fachlichen Anschauungsobjekten gewachsen, wie er allenfalls in einer Berufsschule selbstverständlich ist. Mit bewundernswertem Einfallsreichtum konstruierte der Schreinermeister z. B. aus einem herkömmlichen Spülschwamm ein Streifengeflecht, anhand dessen er ganz leicht verständlich das Schwinden und Quellen des Holzes erklärt (dieses und weitere Beispiele in der Fotostrecke siehe Seite 96).
„Meine Jungs sollen jeden Tag mit einem guten Gefühl aus der Werkstatt gehen und sagen können: Heute habe ich etwas gelernt“, betont Pfuhl und erklärt: „ Hierarchie-Denken ist hier im Knast fehl am Platz. Die Jungs haben durchaus Antennen dafür, wer es gut mit ihnen meint.“
Mut und Angst – Hand in Hand
Dass seine Arbeit Früchte trägt, zeigt sich deutlich in einer Gesprächsrunde, die ich zusammen mit den Häftlingen, Pfuhl, der Anstaltspädagogin Frau Meradji-Kasper und dem Leiter des Werkhofs, L. Willsch, führen darf. Nach kurzem Beschnuppern erzählen die Jungs überraschend locker von ihren Erfolgen. Bald fühlt es sich an, als säße ich mit ganz normalen Azubis zusammen.
„Am Anfang hatte ich wirklich keine Ahnung vom Umgang mit Holz und nun gehe ich einfach rüber, hole mir die Lamellomaschine und lege los“, erzählt Modulteilnehmer Nimer begeistert, mit einem anerkennenden Blick hinüber zu Pfuhl. Ganz freiwillig arbeiten die Häftlinge zwar nicht, schließlich muss man auch im Gefängnis Geld verdienen. Doch mit dem was sie hier erwartet, hatten wohl die wenigsten gerechnet – jemand, dem es ein Anliegen ist, neuen Mut zu wecken. Wie ihre Fragen und Gesichter allerdings zeigten, geht dieser Mut Hand in Hand mit der Angst, draußen sofort den Stempel „Ex-Knasti“ aufgedrückt zu bekommen, entsprechend behandelt und sofort ausgemustert zu werden – obwohl sie ihre Schuld bitter abgebüßt haben und ehrlich neu durchstarten wollen.
„Nicht viele schaffen es, dem Druck draußen standzuhalten“, bedauert Pfuhl. Arbeitsstellen darf er nicht vermitteln. Daher sind seine Mitarbeiter später auf sich allein gestellt. Selten erfährt er, wie es ihnen ergeht.
Doch seit Kurzem existiert ein Buch, in dem die Modullisten zumindest ihr Fazit zur Ausbildung eintragen können. „Drei stehen schon drin“, erzählt Pfuhl, bevor er mich zur Pforte geleitet und ein letztes Mal das Surren des Türöffners ertönt – zumindest für mich. I

Meine Meinung Klischee trifft Lernbereitschaft

„Hättest Du Vorurteile gegenüber einem Ex-Häftling? Würdest Du ihn einstellen?“, fragte ich einen Schreinerkollegen. „Natürlich kommt es auf die Person an, aber die beste Basis ist der Wille zu lernen – egal was vorher war. Es gibt nichts Schlimmeres als einen unwilligen Azubi.“ Dieser Antwort schließe ich mich an und gab sie an Nimer weiter, der mich mit fast hoffnungslosem Blick fragte: „Aber …. hab ich denn überhaupt eine Chance auf eine Lehrstelle?“ Denn, Hand aufs Herz: Warum es nicht einfach auf ein Probearbeiten ankommen lassen? Man hat nichts zu verlieren und diese Jungs haben zumindest die Chance verdient sich zu beweisen. (mh)

Fotostrecke „Hinter Gittern – Modulausbildung in der JVA“
Wir waren für Sie hinter Gittern und haben einen Tag lang die Häftlinge in der Schreinerwerkstatt der JVA Dieburg bei ihrer Modulausbildung begleitet. Diese Fotostrecke ergänzt den Hauptbeitrag.
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